Jonas reviewed Die verlorene Puppe by Christian Vogt
Action, Pulp, Steampunk, marginale Helden – und andere große Themen der Menschheit
4 stars
[Die folgende Rezension enthält wenige Spoiler.] Die verlorene Puppe ist ein phantastischer Roman vom Ehepaar Judith und Christian Vogt, der in einem alternativen 19. Jahrhundert spielt, in dem eine Eiszeit herrscht. Er erzählt die Geschichte einer Zirkustruppe, deren Luftschiff von Fremden über den Atlantik entführt wird. Wie sich im Lauf der Zeit herausstellt, ist in diesem Zirkus aber nicht alles so, wie es scheint… Die verlorene Puppe ist der zweite Roman der Vögte, der in der Welt von „Eis und Dampf“ spielt.
Hauptfigur ist der Akrobat Ferenc, ein Roma aus dem Badi-Clan. Seine Zirkusgefährten sind ein bunter Haufen: Sie stammen nicht nur aus Europa, das unter dem Eis und der Kälte leidet, sondern zu ihnen gehören auch ein Inder (mit dem letzten Mammut der Welt), eine chinesische Trapezkünstlerin und eine zentralafrikanische (?) Messerwerferin. [Falls ihre Herkunft im Buch genauer benannt ist, habe ich es leider vergessen.] Ferenc ist zwar ein …
[Die folgende Rezension enthält wenige Spoiler.] Die verlorene Puppe ist ein phantastischer Roman vom Ehepaar Judith und Christian Vogt, der in einem alternativen 19. Jahrhundert spielt, in dem eine Eiszeit herrscht. Er erzählt die Geschichte einer Zirkustruppe, deren Luftschiff von Fremden über den Atlantik entführt wird. Wie sich im Lauf der Zeit herausstellt, ist in diesem Zirkus aber nicht alles so, wie es scheint… Die verlorene Puppe ist der zweite Roman der Vögte, der in der Welt von „Eis und Dampf“ spielt.
Hauptfigur ist der Akrobat Ferenc, ein Roma aus dem Badi-Clan. Seine Zirkusgefährten sind ein bunter Haufen: Sie stammen nicht nur aus Europa, das unter dem Eis und der Kälte leidet, sondern zu ihnen gehören auch ein Inder (mit dem letzten Mammut der Welt), eine chinesische Trapezkünstlerin und eine zentralafrikanische (?) Messerwerferin. [Falls ihre Herkunft im Buch genauer benannt ist, habe ich es leider vergessen.] Ferenc ist zwar ein wagemutiger Draufgänger, aber hilflos verliebt in seine Trapezpartnerin Yue. Als der Zirkus von seltsamen Fremden angegriffen und mitsamt seinem Luftschiff entführt wird, um über den Atlantik zu fliegen, steigt die Anspannung in der Truppe. Und welche geheimen Motive verfolgen einzelne der Zirkusmitglieder?
In diesem Setup erzählen die Vögte ihre Abenteuergeschichte schillernd und temporeich. Die Haupthandlung wird durch kurze Auszüge aus dem Fahrtenbuch eines anderen Luftschiffs unterbrochen, wodurch wir in knapper Form von den Protagonisten des vorangegangenen Romans erfahren, die auf ein neues Abenteuer aufgebrochen sind und schließlich auch für die Haupthandlung relevant werden. Während in der „Zerbrochenen Puppe“ die einzelnen Kapitel im Untertitel durch Ausdrücke aus der Malerei charakterisiert werden, geschieht dasselbe in der „Verlorenen Puppe“ durch Vergleiche mit Zirkusnummern bzw. Attraktionen aus der Schaustellerei. Der Kniff funktioniert sehr gut, und auch wenn ich den Wunsch verstehe, im Titel an den ersten Roman anzuschließen, hätte ich einen Titel wie „Der entführte Zirkus“ oder etwas Ähnliches passender gefunden. Denn die namengebende Puppe spielt zwar eine wichtige Rolle, aber über lange Zeit dominieren doch andere Themen die Handlung. Von solch kleiner Krittelei abgesehen: Die verlorene Puppe hat mich gut unterhalten. Es war für mich zwar kein „Page-Turner“, den ich nicht hätte aus der Hand legen können, und auch mit dem fulminanten Schluss bin ich nicht ganz warm geworden. Aber mir wurde nie langweilig, und ich habe den Einfallsreichtum und die Sprache der Vögte genossen. Mir gefällt außerdem, wie sie einerseits marginalisierte Personen zu Handlungsträgern machen, Stereotype aufbrechen und sowohl eurozentrische Gewissheiten als auch andere „privilegierte“ Überzeugungen unserer Zeit hinterfragen, andererseits ein actionreiches, pulpiges Abenteuer erzählen. Nicht zuletzt mag ich daran, dass wichtige und spannende Themen wie nationale Rivalitäten, imperiale Interessen und Machtpolitik, künstliches Leben, Schicksal und Entscheidungsfreiheit, und die problematische Ausnutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für militärische Zwecke angerissen werden.
Die Autoren nennen auf ihrer Homepage als potenziell triggernde oder problematische Inhalte von "Die verlorene Puppe": Horror, Gewalt, Verdrängung, Menschenopfer, Rassismusdarstellung (speziell Roma), Darstellung von Sex, Chinadoll-Trope. Das würde ich ergänzen um Tod, Selbstmord, Sklaverei, Gehirnwäsche/mentale Programmierung (mittels fiktiver Technologie).
Zufrieden bin ich auch mit der verlagsseitigen Gestaltung des Buchs: Layout & Typographie (wovon ich wenig Ahnung habe), Korrektorat und Lektorat, die Gestaltung des Einbands, das Begleitmaterial (Personenverzeichnis und Karte) und die Bindung des Softcovers überzeugen mich. Schade, dass der Verlag Feder & Schwert 2019 in finanzielle Probleme geriet! Ich wünsche mir, dass solche Bücher weiterhin durch gute Verlagsarbeit betreut und publiziert werden können. Einbindung in die Welt von „Eis und Dampf“ „Die verlorene Puppe“ ist eine in sich abgeschlossene Geschichte aus der Welt von „Eis und Dampf“. Es ist der zweite Roman, der in dieser Steampunk-Welt spielt, kann aber völlig unabhängig von den vorausgegangenen Veröffentlichungen gelesen werden. Einige Figuren aus dem ersten Roman (Die zerbrochene Puppe) spielen zwar auch hier eine Rolle, sind aber nicht die Protagonisten. Wer den Vorgänger-Roman gelesen hat, kann sich hier auf ein Wiedersehen aus neuem Blickwinkel freuen, aber nötig sind die Vorkenntnisse nicht. Wer beide Romane lesen will und keine Spoiler mag, sollte aber erst Die zerbrochene, danach Die verlorene Puppe lesen.
Das Autorenehepaar Vogt hat ihre Welt von „Eis & Dampf“ auch als Setting für ein Rollenspiel publiziert. Wenn euch die Romane und Kurzgeschichten gefallen, dann könntet ihr auch Spaß daran haben, im Rollenspiel gemeinsam mit anderen eure eigenen „Eis & Dampf“-Geschichten zu erfinden.