Keno Goertz reviewed Das Kunstseidene Maedchen by Irmgard Keun
Das kunstseidene Mädchen
5 stars
Aus irgendeinem Grund hält der Ullstein-Verlag bei einer Auflage aus dem Jahr 2021 es immer noch für angemessen, Irmgard Keuns Das kunstseidene Mädchen mit folgendem chauvinistischen Tucholsky-Zitat auf dem Klappentext zu bewerben: "Eine schreibende Frau mit Humor. Hurra!"
Naja, was zum Lachen gibt es tatsächlich immer wieder. Zum Beispiel gleich am Anfang, als Doris beschreibt, wie Hubert mit ihr Schluss machte.
Legt er auf einmal los - ganz rot und verlegen, weil ihn irgendwo sein Gewissen zwackte, und das machte ihn feindlich gegen mich: "Wenn ein Mann heiratet, will er eine unberührte Frau, und ich hoffe, meine kleine Doris ..." und sprach so gesalbt, als wenn er eine ganze Dose Niveacreme aufgeleckt hätte
Solche treffsicheren, lustigen Bemerkungen über das Verhalten von Männern in einer patriarchalen Gesellschaft und auch darüber, wie sich Frauen darin zurechtfinden, liefert Doris immer wieder.
Als junge Frau niederen Bildungsstands in den 1930ern steht Doris ganz unten in der Rangordnung der Gesellschaft. Immer wieder macht sie die Erfahrung, verspottet zu werden, weil sie etwas nicht weiß. Das soll nicht so bleiben, sie möchte ganz nach oben, ein Glanz werden. Denn bei einem Glanz ist es den Leuten ganz egal, wenn er mal was nicht weiß, ein Glanz kann sich alles erlauben.
Leider stehen ihr zur Erreichung ihres Ziels die allermeisten Türen verschlossen. Gesellschaftlichen Wert erlangt sie vor allem durch ihre Schönheit und Verführungskünste, welche sie dementsprechend einzusetzen lernt. Dabei muss sie immer wieder die bittere Erfahrung machen, von Männern verstoßen zu werden, die zuvor noch die Grundlage ihrer Existenz bildeten.
Nach einer Reihe von Misserfolgen akzeptiert sie, dass die Welt des gehobenen Bürgertums nicht für sie erreichbar sein wird. In diesem Moment sieht sie sich endlich als vollwertige Person, egal was andere sagen, denn "auf den Glanz kommt es nämlich vielleicht gar nicht so furchtbar an".